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Unbeschwertheit im Gemüt und sanfte Brisen saftigen Mooses in der Nase, der Hauch befriedigender Melancholie, Vögel,
die nach Frühling klingen und eine Melodie, die in weiter Ferne den Gesang waldiger Hinterhältigkeit untermalt... -
Herzlich willkommen in einem Traum! Einem schön-entstellten, lasziv-schüchternen, neugierig-grauen Traum, der im
unscheinbaren Dunstkreis Mortiferas und Celestias unlängst zu brüten begonnen hatte. Ehemals mitwirkend bei besagten
französischen Künstlern, ist Neige seit 2001 sein eigener Hüter und modelliert weitestgehend im Alleingang seine
individuellen Vorstellungen tiefgehender Musik. Und wie tief...
Denn auch wenn Romantik und Naivität besänftigen, beinahe einlullen, spreizt die ruhende, grüne Jungfräulichkeit
bald ihre knorrigen Glieder und umfasst den Kopf mit trockenen Armen, sehnigen Beinen und hölzern-welker Tristesse.
Anfangs beinahe behutsam, schmeichelt sie bald mit klaren Gesängen, die Gutmütigkeit vermuten lassen. Es scheint
fast, als wäre es ein hartes Spiel, das längst begonnen hat. Und so wird gesungen und verlockt, bis man bemerkt,
dass die Falle schon vor vielen Augenblicken zuschnappte, Baum plötzlich Stein, Zuversicht zu Leid und Hoffnung ein
nervenzehrendes Lichtlein wurde, das der erhabenen, graziösen Schwermut lediglich den rechten Einfallswinkel spendet.
Doch fern aller Hoffnungslosigkeit wird es behütet und geborgen, ganz so, als wäre nichts geschehen. Vertrauen wird
geschöpft und man lächelt... und stürzt sogleich tiefer.
"Le Secret" erbaut sich aus seiner eigenen Naturmystik, mittels cleanen Gitarren und gemächlichem Drumming.
Überstürzung oder gar Hektik gibt es nicht. Geduld ist gefragt, bis die verzerrten Saitenwände herunterkrachen und
einkerkern. Ab diesem Zeitpunkt geht die durchlebte Schönheitsmisere los. Das Tempo variiert vielerorts und man
erwischt sich manchmal bei der Frage, ob Neige der Erfinder des Spannungsaufbaus ist, so dicht und effektiv sind
die einzelnen Abschnitte miteinander verknüpft. Klarer Gesang, der die obig erwähnte Naivität hauptsächlich
darstellt, dominiert durchgehend bzw. glänzt im Alleingang, ist aber derart weit hintergründig fixiert, dass er viel
mehr einer unterstreichenden Bassspur nahe kommt, als etwa einer definierenden Gesangslinie. Sämtliche Melodik wird
von den Gitarren getragen, die sich gern auch mal innerhalb eines Riffs die melodiöse Führung streitig machen wollen.
Doch neben dem unglaublich guten Gespür für Melodie und technische Umsetzung, fällt mir besonders das Schlagzeug
immer wieder gern direkt ins Auge bzw. Ohr. Simpel, aber beherrscht, althergebracht, aber originell. So kann man
beinahe hardcore-artiges Drumming finden, das sich trotz allem mehr als nur fantastisch ins musikalische Geschehen
integriert. Aber wir sind ja noch nicht fertig.
Der Fall geht weiter... Als wäre man ganz unbemerkt gestorben, taucht vor dem geistigen Auge just ein fremdes
Universum auf. Und nochmals fühlt man sich in Seide gehüllt, weich gebettet, beinahe sicher - denn nochmals drängt
sich durch die Ruhe eine unverkennbare Zwiespältigkeit. Die Umgebung mutiert erneut, doch gewaltiger. Das All
schnappt zu und verschluckt den Kopf. Eine Reise, geprägt von zufälligen Lichtspielen und sich wiederholenden
Traumata beginnt. Rasend und hypnotisch fliegt man voran, fühlt sich verloren, doch erhaben. Nur langsam wandelt
sich das Geschehen in einen zehrenden Kampf zwischen reißender Mächtigkeit und sphärischer Eternalität, in dessen
Mittelpunkt Feuer und Wasser, Liebe und Hass, Sein und Vergehen aufeinander treffen. Und so zeigt die verkörperte
Schönheit leidenschaftlicher Verzweiflung, wie mimisch ihr Gesicht sein kann.
"Élévation" scheint eingangs grundlegend anders als "Le Secret". Aber das täuscht. So beginnt dieses Stück
gleichfalls ruhig und geheimnisvoll. Die vermittelte Atmosphäre ist nahezu identisch, da abermals schmeichelnde
Ungewissheit ertönt. Hier jedoch nicht mit Hilfe von Saiten, sondern Tasten. Bis zum Ausbruch der E-Gitarren
steigert sich das prologische Schweben nur minimalistisch und bietet somit genügend Raum, der restlichen
Instrumentierung einen Überraschungseffekt zu garantieren. Im Groben ist "Élévation" etwas simpler gestrickt als
sein Vorgänger. Das verheißt in diesem Falle jedoch einen kleinen, aber feinen, Vorteil, da die Wahrscheinlichkeit,
den Hörer gänzlich mitzureißen, einzufangen, nochmals erhöht wird. Die wenig wechselnden Melodien stellen
vergleichsweise genau dasselbe Maß an übergroßem Kompositionspotential dar. Eingängigkeit ziert ganz bewusst das
Innenleben von "Élévation". Und auch die Lyrik wird längst nicht mehr kindlich-träumend gesungen, sondern
inbrünstig-leidend gekeift. Schlagzeug und Gitarren ketten sich ungemein nutzbringend aneinander, sodass ein
Meisterwerk depressiver Klangkunst entsteht - so feinfühlig, wie Drähte sein können.
Und hier soll die Gegenüberstellung von Emotionen und Fakten enden. Alcests digitales Kleinod hat den gewissen
Hauch Unvergänglichkeit, welcher dieser Tage Raritätenstatus besitzt. Eigenständig und überaus kreativ agiert Neige
mit seinen eventuellen Mitstreitern. Lediglich die Notwendigkeit etwaiger Geduld mit beiden Stücken kratzt an der
Gesamtwertung. Ansonsten kann "Le Secret" jedem zum liebenswürdigen Verhängnis werden, der horizontlos an
schwermütigen Schwarzstahl herantritt. Im Falle Alcest gilt somit: Wenn schon eigenständig, dann wenigstens
einzigartig - und hier sogar gigantisch. |
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