NASHEIM

Jord och aska (CD/LP 2019)


Also, ich muss ja schon gestehen: Wenn man hier eine Platte in Wort und Text abfeiert und sie darüber hinaus einiges an persönlichem Wert gewinnt, dann kratzt es schon etwas am Kritiker-Ego, wenn dieselbe Scheibe im hauseigenen Forum überwiegend mit Reaktionen bedacht wird, die sich am ehesten als "verhalten" oder "enttäuscht" beschreiben lassen. So geschehen bei Nasheims 2014er Album "Solens Vemod", das damals wie heute für mich eines der bedeutenden Werke des atmosphärischen Black Metals im letzten Jahrzehnt ist. 2019 tritt nun "Jord och aska" an, wieder für Einigkeit zu sorgen - und so viel sei verraten: Es macht seine Aufgabe ausgesprochen gut!
Vorneweg sei gesagt: Nasheim ist immer noch Nasheim - vor allem, was den Klang angeht. Auch 2019 ist das Ein-Mann-Projekt keine Band, die versucht, den Hörer mit einer mächtigen Gitarrenwand an selbige zu drücken. Stattdessen ist die Abmischung der typischen Metalinstrumentation aus Gitarre, Bass und Schlagzeug erneut eine eher zurückhaltende, was beispielsweise die Lautstärke betrifft. Gerade auf "Jord och aska" macht es sich jedoch sehr bezahlt, dass auf der musikalischen Leinwand noch genügend Ausgestaltungsfläche vorhanden ist, denn die Kompositionen sind deutlich in die Breite gewachsen. Diese Breite entsteht vorwiegend dadurch, dass nun weitere Klangvehikel wie Violine, Cello und Piano zum Einsatz kommen, was die sowieso schon sehr melancholische Couleur des Werkes noch mit weiteren braungrauen Farbakzenten anreichert.
Wo bei "Solens Vemod" immer wieder mal ein brennender Schmerz aufflammte, muss man "Jord och aska" eher eine in sich gekehrte, nachdenkliche Haltung attestieren, welche zugleich mehr Raum zur Entfaltung braucht. Die Stücke sind nämlich nicht nur in die Breite, sondern auch in die Länge gewachsen, was sich im Vergleich zum Vorgänger in einem spürbar ausladenderen Songwriting niederschlägt. Und das will durchaus was heißen, kommt doch bereits das kürzeste Lied auf "Solens Vemod" auf geschlagene neuneinhalb Minuten Laufzeit. Dass hier nun zwei der drei Lieder die Viertelstunden-Hürde locker nehmen und es im Auftaktstück "Att sväva över vidderna" satte elfeinhalb Minuten dauert, bis der Herr am Mikro überhaupt mal dazu ansetzt seine Lyrics unters Volk zu bringen, verdeutlicht jedoch einmal mehr das musikalische Selbstvertrauen des Schöpfers hinter Nasheim. Ausladend kann mitunter also auch ausgesprochen einladend sein.
Dass das angesprochene Selbstvertrauen mehr als angebracht ist, wird vor allem durch die Leichtigkeit begreifbar, mit der die verschiedenen Instrumente miteinander verwoben werden und elegante Übergänge zwischen den Liedabschnitten kreiert werden. Wie vor allem "Sänk mig i tystnad" die Schlagzahl mal anzieht, dann wieder drosselt und dabei mühelos treibende Aggression mit erhabener Andächtigkeit verschmelzt, scheint wie geradewegs aus dem Lehrbuch für bravouröses Songwriting entnommen. Spätestens wenn im Schlussdrittel hypnotische Akustikgitarren das Streichensemble zum Tanz der Schwermut auffordern, wird der leere Blick in die Ferne geradezu zum Imperativ und das Schlussstück der Platte steigt endgültig in höchste Weihen auf. Wie schon "Solens Vemod" verdient sich "Jord och aska" seine Lorbeeren im Besonderen damit, dass es seinen sorgfältig geschmiedeten Riffs und Melodien viel Zeit zum Atmen lässt und den Hörer eben nicht im Sekundentakt mit einer halbgaren Idee nach der anderen ins Kreuzfeuer nimmt.
Wenn es etwas zu kritisieren gibt, dann wohl am ehesten das bestenfalls als Zwischenspiel zu bezeichnende "Grå de bittert sådda skogar", welches zu 80 Prozent aus dem Hauptthema des bereits erwähnten "Att sväva över vidderna" besteht. Dass ebenjenes Thema auch im letzten Stück nochmals auftaucht, lässt natürlich stark vermuten, dass damit ein Bogen über das gesamte Album gespannt werden soll. Für meinen Geschmack überspannt aber vor allem "Grå de bittert sådda skogar" diesen Bogen dann doch etwas.
Dass die Nachfolger zu großen Werken gerne mal die Neigung haben, an der hoch gelegten Messlatte zu scheitern, beweist einmal mehr die Klasse von "Jord och aska", welches im Gegensatz dazu in nahezu jeder Beziehung mit "Solens vemod" mithalten kann. Dass letzteres in meinen Augen die Nase doch minimal vorne hat, liegt besonders an der dort zu findenden Nuance an mehr Dringlichkeit. Die epochalen Liedstrukturen, bewegenden Melodien und mitreißenden Riffs machen "Jord och aska" in Kombination mit dem bewundernswerten kompositorischen Geschick jedoch schon jetzt zu einer der herausragenden Erscheinungen des Jahres 2019. Und das sollte doch Grund genug zur Hoffnung geben, dass schlussendlich auch die hiesige Leserschaft und der Autor dieser Zeilen in der Bewertung dieses Meisterwerks einer Meinung sein werden.

9 /10

Official Website

Northern Silence Productions

 

Nachtwall
27.05.2019