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Für alle, die es noch nicht wissen, stellt "Noise" auch eine (in)offizielle Musikrichtung dar. Ursprünglich
aus dem Industrial kommend, entwickelte sich besonders in Japan eine Szene, die schon Anfang der 80er von der
in Tokio gegründeten Ein-Mann-Band Merzbow entstand. Noise sollte, wie der Name schon vermuten lässt, eine
bizarre Form von Musik darstellen, die im Laufe der Zeit durch viele Experimente "entwickelt" wurde und
vorzugsweise mit elektronischen Mitteln gespielt wurde. Doch es gibt mittlerweile auch Noise in Verbindung mit
Metal, welche hier zu tragen kommt. Dabei wird banal gesagt "sinnlos" auf den üblichen Instrumenten wie
Schlagzeug oder Gitarre gekloppt, gezupft oder einfach nur irgendwas ins Mikrofon gesungen. Man könnte sagen,
Noise setzt kein Können voraus, bietet demjenigen aber alle Möglichkeit von entfalterischer Freiheit. Viele
Artisten nutzen die Eigenschaft dieser Richtung wohl gerade auf diese Weise, um auf intuitiven Weg ihren
Emotionen und Gedanken freien Lauf zu lassen, ohne diese durch verzierende Akte der Komposition zu verfälschen.
So gibt es nebst perversem und komplett gestörtem Noise(core), der sich vornehmlich aus dem Gedankengut des
Goregrinds und Co. bedient und eine Art Weiterentwicklung dieser Spielweise darstellt, eben auch den
intellektuell abstrakt anmutenden Teil, der seine Inspiration beispielsweise aus anspruchsvoller Literatur
und anderen künstlerischen Richtungen zieht, um die maßlose Freiheit an Kreativität und Ausdrucksvermögen
auszuleben.
Leicht wird es einem nicht gemacht diesen Tonträger zu hören, aber ich war so frei und fand schon nach
mehrmaligem Hören gewissen Genuss daran. Laut Matthias (Mielofon) selbst wurde alles in einer kleinen Hütte
nebst verrottetem Bahnhof live eingespielt. Dabei wurde auf aufwendige Aufnahmetechniken verzichtet, um die
Musik möglichst unverfälscht abzubilden, so wie wir es schon aus dem heißgeliebten unterground Black Metal
kennen. Dazu reicht dann, wie in frühen Tagen, ein einfacher Kassettenrekorder und Mikrofon. Das Schlagzeug
wurde von einem gewissen "Braun" übernommen und während der Aufnahmejahre 2002 und 2003 bedient. Wenn auch
nicht Chaotik pur, vernimmt man gelegentlich ein paar nachvollziehbare simple Takte, denn es ist ja auch
nicht gerade einfach ohne Takt zu spielen.
Die Gitarre wurde teilweise, dank der kreativen Freiheit, nicht handelsüblich gespielt, sondern einfach nur
die Tonabnehmer mehr oder minder sanft berührt. Daraus resultiert vor allem ein recht häufig quietschender
Nebenton in vielen unterschiedlichen Varianten, den man über das ganze Album wahrnimmt. Es ist aber nicht so,
als würde dieser seine restlichen Geschwister übertönen; nein, er passt einfach zur rauen Aufnahme wie die
Faust aufs Auge. Für den Gesang dachte man nicht mal daran, eine extra Aufnahmesession zu starten, denn wie
sagt man so schön? Live ist Live. Man beschallte mit allen Instrumenten und Organen ein und das selbe Mikrofon.
Da hatte der Herr wohl Glück, dass seine Stimme auch ohne technische Raffinesse kraftvoll genug war, um nicht
ganz im Geplänkel unterzugehen. Abgesehen davon klingt er herrlich qualvoll und geisteskrank, wovon sich so
manch schwarze Truppe noch eine Scheibe abschneiden kann.
Grob zusammengefasst ist alles eine Art Chaos mit gelegentlich vorkommenden Strukturfetzen, die den Hörer -
oder zumindest mich - auch nach mehrmaligen Durchläufen Neues entdecken lässt. Immer wieder erkennt man neue
Verbindungen und diese erinnern mich nicht zu selten an bekannt destruktive Elemente aus dem frühen BM.
Allein die Produktion und die Atmosphäre klingen so furchtbar kalt nach nassem Kellergewölbe, mit räudig
scheppernden Becken und bizarren Bruchstücken von Riffs. Das ergibt dann einen grellen Sound, bei dem die
Instrumente noch richtig scharf und schmerzend spitz klingen.
Nichtsdestotrotz behandeln wir hier aber keinen Schwarzmetall und auch kein Gedankengut à la Misanthropie.
Viel eher wird, wie die Komponisten des 20. Jahrhunderts schon, versucht die Grenze des Musikalischen zu
sprengen und seine eigenen Wege zu gehen. Dabei bezieht man sich unter anderem auf den sogenannten "Free
Jazz", der ein Begriff für freies ungebundenes Improvisationsspiel darstellt und durch die Möglichkeit zur
freien Entfaltung immer neuere Formen (im Jazz) einfordert. Durch die expressionistische Darstellung ist es
für den Hörer schwierig, die Emotionen an sich nachzufühlen, da bekanntlich jeder anders und doch auf die
gleiche Weise empfindet. Somit vergleicht Mielofon seine Werke zum zusätzlichen Verständnis mit den Bildern
des niederländischen Malers Hieronymus Bosch (Jheronimus van Aken). Die Werke dieses mittelalterlichen
Künstlers (geb. um 1450) sind in ihrer Darstellung und Bedeutung teilweise bis heute rätselhaft und umstritten.
Um dem Ganzen aber vielleicht noch mehr Klarheit zu verschaffen, muss man sich die Musik wie ein Gemälde
vorstellen, mit bewusst ungenauer und verfremdeter Linienführung. Aus mehr oder weniger aktuellen Anlässen
beispielsweise "Der Schrei" von Edvard Munch, wenn auch dieses Bildnis nicht ganz so extrem wirkt.
Wer sich über solch wundersamen Titel wie "Der Schlaf hat Blei im Mund" oder "Aus dem Nichts können wir nicht
schöpferisch sein, wohl aber aus dem Chaos" belustigen mag, der sollte mal das Stichwort Dadaismus aufschlagen
und wird verstehen, dass in dieser (anti-)künstlerischen Richtung Humor nicht unbekannt war. Das soll dieses
Projekt natürlich nicht in Lächerlichkeit tränken, aber steht um so mehr für eine nachdenkliche Ebene, über
Sinn und Unsinn. Anscheinend gibt es nicht viele, die diesen Schritt wagen und noch weniger, die ihn
nachvollziehen können. So könnte man dieses Werk, durch seine Abstraktheit und Transzendenz, neben zuletzt
rezensierten Innovationsflauten geradezu auf den Thron der Kreativität setzen. Oder ganz einfach als völlig
unsinniger Müll bezeichnen und in die Tonne treten. Vielleicht benötigt man auch nur eine Priese
"Weltfremdheit", viel (kranke) Fantasie und eben auch den Drang zur (stilistischen) Freiheit, um so etwas
als "Musik" wahrnehmen zu können. |
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