LUNAR AURORA

Elixir Of Sorrow (CD 2004)


Einsamkeit. Dunkelheit.
"Alle Welten sind hier und jetzt zugleich" - Zitat aus "Hier und Jetzt", einem kurzen Ausschnitt aus Lunar Aurora's fünftem Album. Ein merkwürdiger Satz, dessen ganzer Sinn sich erschließen sollte, wenn man die 54 Minuten Unendlichkeit auf diesem Album über sich hat ergehen lassen. Und die können einem sehr lang vorkommen, wenn man sich nicht dagegen wehrt. 
Die 3 Rosenheimer lassen sich mächtig Zeit, die schwarze Schraube an des Hörer's Kopf anzusetzen und Umdrehung für Umdrehung für Leere im Schädel zu sorgen. Zwei Stücke von je 11 bis 12 Minuten, drei zwischen 6 und 9 Minuten sowie eine Handvoll verbindener Zwischenstücke finden sich auf "Elixir Of Sorrow". In keinem werfen die Minimalkünstler mit Ideen um sich, im Gegenteil: die Monotie ist auffällig und gewollt, sie erzeugt einen grausam-schönen Strudel aus flirrenden Gitarrenteppichen, seltenen und bizarr verfremdeten Keyboards, einem röhrend-untergründigen Distortion-Bass und einem sehr zweckmäßig eingesetzten, einfach gehaltenen Schlagzeug. Spätestens beim fünften Stück "Kerkerseele" flossen mir vor Rührung und unterschwelliger Furcht leise Tränen das Gesicht hinunter, ähnlich dem Porträtierten auf dem Covergemälde (traditionell von Gitarrist Aran beigesteuert), der während der Spielzeit des Albums zu erkennen und zu verfallen scheint. Das hat seinen Grund: "Elixir Of Sorrow" ist (analog dem Titel) ein Stück Musik von unfassbarer, doch eher subtiler Traurigkeit, dessen Intensität sogar genrefremden Hörern auffallen muss. Die Band kehrt hier ihr Innenleben noch unverfälschter nach außen und wirkt dadurch noch ein wenig überzeugender als auf ihren vorigen vier Alben, von denen ich "Weltengänger" und "Ars Moriendi" bereits für kaum noch steigerbar hielt. Diesem Trugschluss bin ich allerdings gerne erlegen angesichts so epischer Meisterstücke wie den schon genannten "Kerkerseele" und "Hier und Jetzt" oder dem relativ melodischen "Augenblick". 
Auch produktionstechnisch leiste ich eine erdtiefe Verbeugung: so röhrende Gitarren, ein so dumpf schepperndes Drumkit (übrigens mit dem schönsten Ridebecken, das ich seit Jahren gehört habe!), einen derart röhrenden Bass, dazu kehligen, verhallten und sehr sparsam eingesetzten Kreisch-Sprechgesang habe ich nicht einmal auf ihrem eigenen Debüt je gehört. Wer sich einmal mit der Schwierigkeit auseinander gesetzt hat, schnellen Black Metal in ein wirklich druckvolles, aber uralt scheinendes Klangkleid zu schmieden, wird diese Leistung so wie ich zu würdigen wissen!
In 8 oder 9 Jahren der Bandexistenz haben es Lunar Aurora geschafft, nicht nur durchgehend fantastische, wiedererkennbare Stücke von eigener Stilistik zu schreiben, sondern sich atmosphärisch todsicher durch ein ganzes Album zu prügeln. Von Spannungsabfall keine Spur, dafür sorgen die dezent mit Samples und schmerzvollen Schreien durchsetzten Zwischenparts, die nicht einmal die sonst üblichen zwei Sekunden Pause zwischen zwei Stücken lassen. 
Als Minimal-Manko bleibt ein weiteres Mal das Booklet, dessen Gestaltung ich bisher stets als einzigen kleinen Schwachpunkt an dieser Band ausmachen konnte. Die Schrift ist leider ein bisschen unpassend und etwas schlecht zu lesen; davon abgesehen regiert stilvolle, passende Dunkelheit in Grüntönen.
Warum nun "Alle Welten sind hier und jetzt zugleich"? Die deutschen Texte drücken für mich eine so schreckliche wie schöne Erkenntnis aus: das Leben ist ein Kerker, unsere Welt die Kerkerwand. Unsere Seelen sterben unter Tränen und Schmerzen ab, der Körper vergeht, Licht und Dunkelheit werden eins, Sinn und Unsinn heben sich auf. Die Abkehr von der Materie und vom Kampf mag Tod bedeuten, vielleicht aber auch Unendlichkeit und Leben, das der Mensch schon auf Erden erreichen kann. Die Bitte um Erlösung mag als das Einfachste erscheinen, ist es aber vielleicht nicht. Der Freitod als Lösung, die keine Lösung sein muss - denn "Alle Welten sind hier und jetzt und zugleich" und wer die Augen öffnet, wer sich von einem Album wie "Elixir Of Sorrow" die Augen öffnen lässt, wird erkennen, dass nicht alles Dunkel ist. Nicht alles, aber wohl das meiste...

10/10

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alboin
02.04.2004