KÆLTETOD

Wundenextrakte I-V (Demo 2003)


Die meisten Musiker und generell Künstler wissen wovon ich rede, wenn ich behaupte: Leiden ist eine verflucht fruchtbare Angelegenheit und im besten Fall sehr produktiv, ergiebiger meist als die Hochphasen menschlichen Lebens. Das ist bitter und sehr ironisch, aber nicht zu ändern. "Wundenextrakte I-V" ist vertontes Solo-Leiden aus Österreich und das klingt mitunter so verzweifelt, dass ich mir ernsthaft Gedanken um das Wohlergehen des Hauptdarstellers mache. Dieser hat keinen Namen, spielt alle Instrumente auf diesem 20-minütigen Demo, hat den außerordentlich morbiden Drumcomputer eigenhändig programmiert und sich die schrecklichen Stimmausbrüche höchstselbst aus dem Schlund gewürgt. 
Nun ist das Tape zwar in 5 Kapitel unterteilt, die ich aber sehr ungern auch getrennt beurteile, weil nur das Gesamtbild in sich stimmig ist - man könnte zwar separieren in zwei Black-Metal-, zwei Ambient/Industrial- und einen langen experimentellen Track, aber die Grenzen sind da definitiv fließend. Wir beginnen unsere Reise in die Abgründe der Verzweiflung mit einem lauernden Industrial-Sample und dem eben schon genannten, wirklich stumpfen und poltrigen, aber sehr düster scheppernden Drumcomputer. Dann eine einzelne E-Gitarre, die eine schräge Melodie zum besten gibt, die auch auf einem frühen Black-Sabbath-Album hätte stehen können. Es gesellen sich eine zweite Gitarre, ein Bass und zuletzt eine Stimme dazu, auf die selbst der Französische-Fremdenlegion-Count zu seinen besten Zeiten stolz gewesen wäre. Die Monotonie bricht nicht ab, sondern steigert sich, schaukelt sich auf zu einer ohrenzersägenden, reißenden Maschinerie von erstaunlicher Erbarmungslosigkeit. Übersteuerter Ambient aus lodernden Tiefen durchbricht das Dunkel, um noch undurchdringlichere Schwärze zu verbreiten... und wieder diese Stimme, wieder dieser hämmernde Drumcomputer. Ich bin ja was Musik angeht wirklich nicht wehleidig, aber diese nervenzerfetzende, grausame Kombination bringt einen um den Verstand. 
Auf der B-Seite angekommen möchte man sich einer Fortführung dieser Torturen am liebsten entziehen, kann aber nicht. Jazz-Orgeln und schleppende Industrial-Beats geben einen Hauch von Hoffnung und dann wieder die Stimme - unendlich verhallt, so wie der gesamte Sound eigentlich, unendlich qualvoll. Texte? Wozu. Hat der Wunsch sich zu töten einen Text? Hat er eine Melodie? Ja, vielleicht. Aber wenn, dann ist er ein Sirenengesang, bei dem sich der Mensch am liebsten am Stuhl festbinden möchte. Kæltetod braucht keinen Text, braucht auch keine Melodie. Wenn man genau hinhört sind die gespielten Töne, die 3, 4 zu erkennenden "Riffs" oft sehr zusammenhanglos, auf keinen Fall aber konstruiert oder komponiert. Seien wir ehrlich: das ist völlige Minimalkunst, wenig gekonntes, halb improvisiertes Zeug von einem Menschen, der mit roten Augen, zerschlissen und halb vernichtet in einer Ecke sitzt und sich an seine Instrumente klammert wie an die Kotzschüssel, um einfach nur loszuwerden was ihn quält.
Und wenn ich ehrlich sein soll: so handgemacht und simpel dieses Demo ist, der Mann hat es leider sehr gut geschafft, seine Leiden auf den Hörer abzuwälzen. "Wundenextrakte" genügt keinem höheren Anspruch, ist gekonnt übel produziert und billig (aber nicht dillentantisch!) gespielt - aber es hat gerade dadurch viel Atmosphäre. Zwar habe ich ein gutes halbes Dutzend Durchläufe gebraucht um das zu erkennen, aber was zählt ist bekanntlich das Ergebnis.
Ein Blick also in das schwarze, mit dunklem Grau bedruckte Booklet und Du weißt: hier regiert die völlige Ausweglosigkeit. Zum Schluss noch ein Zitat aus eben jener Papierbeilage: "Done in dedication to pathetic weakness, perpetual suffering, the eternal struggle to overcome both and the ultimate failure that awaits in the end". Das könnte man treffender nicht formulieren.

6/10

Official Website
Kommentar abgeben

 

alboin
04.03.2004