ISENGARD

Vinterskugge (1994)


Ein besonderes Vergnügen bereitet es mir, das sagenhafte Debüt von Isengard in den Höllenkrater zu loben und auf dem Hlidskjalf zu thronen. Wenn verschneite, finstere, von blutrünstigen Wölfen und schwarzen Gestalten bewohnte nordische Wälder den Schauplatz dieses obskuren, künstlerischen Kleinods darstellen, dann ist tief verborgen, in finsteren Katakomben, verschollen, verschlossen in einer hölzernen, mit Knochen verzierten Kiste, dieses Werk abgelegt - dunkel, ewig, weltenlos. Schlicht Musik oder Kunst beschreibt Isengard's Debüt in keinster Weise. Vinterskugge ist eine Ausgeburt nordischer Kälte und winterlicher Melancholie. Wo Leidenschaft, Stolz und absolute Kompromisslosigkeit vereint in ein Werk fließen, wird Magie geschaffen, zieht den Hörer in seinen Bann und lässt ihn nicht wieder los, selbst wenn die akustische Untermalung längst verklungen ist. 
Was so hochtrabend dahergeschrieben klingt, beschreibt meine Gefühle für ein Album, welches an und für sich relativ unspektakulär erscheint, aber in seiner intensiven Atmosphäre bis heute - und sicher auch sehr fernen Zukunft - einzigartig bleibt. Was nordischer Black Metal für mich ausmacht, ist seine Nähe zur rauen Natur, die Ästhetik, der Stolz, sein schimmernder Glanz, der mittelalterliche Background, seine morbide Erscheinung, das pure Schwarze und der Hass, der ihn ernährt. Fenriz nahm diese Elemente, versetzte sie mit nordischen Folk-Einflüssen, einem stark Promille trächtigen Alkohol-Touch und erschuf das perfekte metallische Folk-Album für jeden finsteren Troll-Gesellen. Jeder Song eine Ode an die Melancholie der nordischen Nacht, der ewig verschneiten Wälder und dem Grauen, das in ihnen wohnt. E-Gitarren, verdreckt und in eine tragisch, langsam-gleitende Leere verzerrt, Piano-Geklimper, wie das Zerbersten der Stalaktiten auf meterdickem Eis. Über alledem erhebt sich die tiefe, von solchem Stolz und tragischer Melancholie durchtränkte Folk-Stimme, der einzige wahrnehmbare menschliche Gegenpart zur kalten Anmut des verschneiten Winterwaldes. 
Aber auch reine Black Metal Songs mischen sich in das Soundgewand und zelebrieren die pure Hetze einer blutrünstigen Jagd. Was Vinterskugge von Høstmørke - dem zweiten Isengard Album - unterscheidet, ist vielleicht sein hervorstechender Demo-Charakter und damit auch eine gewisse Magie, die von den ersten nordischen Black Metal Werken ausging. Bei den rein instrumentalen Keyboard-Parts dürfte selbst Vinterriket neidisch dahergeblickt haben, bieten sie doch deutlich mehr Abwechslung vereint mit einer noch wesentlich intensiveren Atmosphäre. Sagenhaft auch, wie Fenriz es schafft, jedem einzelnen Song seine eigene Note zu verpassen. Reiner Folk-Gesang oder Black Metal im Wechsel zu instrumentalen Piano-Stücken bringen niemals den eiskalten Nordwind ins Stocken, sondern fließen wie von Geisterhand ineinander über und erhalten die Spannung bis zum höchsten Baumgipfel. Bereits mit den regulären 7 Songs ist das Album mehr als ein Pflichtkauf, doch zusätzlich packt Fenriz noch das 89er Demo "Spectres Over Gorgoroth" auf den edlen Silberling, welches in Sachen morbider Schwärze und eiskalter Atmosphäre kaum zu toppen ist. Demo-Fetischisten werden ihre Begeisterung kaum zügeln können. 
Insgesamt ist diese euphorische Rezension jedoch mit Bedacht zu genießen! Wer bei dieser Beschreibung feuchte Finger bekommt und sich sehnlichst wünscht, in diese von Isengard geschaffene Welt einzutauchen, wird kaum enttäuscht werden. Wer aber musikalisch zu hohe Anforderungen an das Werk stellt, sollte besser schon mal nach einer möglichen Alternativ-Verwertung für den Silberling Ausschau halten. Wie immer nutzt Fenriz relativ banale musikalische Mittel, um sein gewünschtes Ziel zu erreichen. Sein Genie ist viel mehr auf künstlerischer, kultureller Ebene zu suchen. Isengard ist eine vertonte, tiefe Leidenschaft zu einer Welt, die es zu erkunden und nachzufühlen gilt. Wer sich dieser Welt ausschließt, schließt sich auch der musikalischen Essenz aus und, man muss es so salopp sagen, dem nordischen Black Metal ansich.

10/10

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grimm
29.07.2003