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Extravaganz - laut Fremdwörterbuch "etwas, das aus dem Rahmen des Üblichen fällt". Es gibt heutzutage eine
wirklich winzige Anzahl an Formationen, die sich ohne schlechtes Gewissen jenes Prädikat auf ihre Stirn
tätowieren können. Und diese Personengruppe ist wiederum so kreativ, dass jederzeit die Gefahr besteht, im
Album-Takt die Genregrenzen zu überschreiten oder gänzlich abzudriften. In The Woods... sind unbestritten ein
solcher Fall, der zu allem Überfluss auch nicht mehr länger unter uns weilt. Was diese norwegischen Meister in
ihrer Karriere fabriziert haben, darf getrost als Nonplusultra innerhalb ihres verschriebenen Musikterritoriums
bezeichnet werden. ITW waren ihr eigenes Genre.
Nirgendwo sonst durfte man anno 1996 derart klischee- und karieslos knochentrockenen, HÖCHST stimmungsvollen
Keyboardspuren, teils wildem Riffhacken oder dem bodenständigen Drumming lauschen. Einzigartig in ihrer
Performance sind auch die dimensionsreichen, erdrückenden Vocals - sonst so verpönte Frauenstimmen fanden hier
(richtigerweise) genauso ihren Platz wie beklemmend intensive Hassschreie. Manchmal überlässt der Frontmann
einem seiner Mitstreiter das Mikro und selbst diese haben's drauf. Egal ob Klargesang, Flüstern, richtiges
Singen (!) etc.: In jedem Bandmitglied stecken Gesangstalente. Das vorliegende Opus weiß indes weit
Vielschichtigeres anzubieten, welches sich erst nach mehreren Durchläufen offenbart. Stück für Stück schießen
weitere kleine, feine Details in die Ohren. Wahrscheinlich wird es mich noch Jahre kosten, um das Puzzle zu
vervollständigen, um wirklich alles wahrgenommen zu haben. Solch forderndes Liedgut findet der Kenner leider
nur noch allzu sporadisch, stumpft das Hörorgan nach dem trilliardsten Darkthrone-Klon ab. ITW brechen hingegen
mit allen Traditionen, lassen eine wahre Flut an genialen Ideen bis ins tiefste Innere jeder Seele los,
verzichten gerne auf den vielfach heraufbeschworenen Kult, kurzum: sie tun, respektive taten, was ihnen gerade
passte.
Musikalisch schlägt sich diese Einstellung in irrwitzigen Tempi- und urplötzlichen, im Nachhinein aber nur
logisch erscheinenden Passagenwechseln nieder - Dissonanz und Ordnung finden auf dem zweiten Monumentalwerk
der Skandinavier zusammen. Unbeschreiblich schön auch die ruhigeren Abschnitte, in denen, wie zu Anfang bei
"Wotan's Return", dem Bass der Vortritt gelassen wird - Gänsehaut pur. "A Return To The Isle Of Men" ist eine
Kampfansage an konventionelle, mittlerweile ausgelatschte Standards im Black Metal. Nahezu schamlos werden
Elemente aus dem Pop oder Ambient ins Süppchen gerührt, das Endergebnis lässt hingegen nie etwaige
Verbesserungsvorschläge aufkommen. Jeder einzelne Ton sitzt perfekt. Die Abmischung beschert feuchte Träume.
Der Musik selbst kann ich echte Kopfkinoqualitäten attestieren. Sobald die Augenlider zueinander finden, findet
ein erneuter Ritt in andere Sphären statt. Kapitelweise wühlen die Melodien in längst zugeschnürten Wunden,
werfen den Hörer zu Boden, lassen ihn sich elendig im eigenen Speichelbad winden und um Gnade flehen; doch
erst mit dem letzten Ton endet der gewollte Leidensweg, bis dahin wird kräftigst weiter gesabbert... |
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