IMMORTAL

Pure Holocaust (1993)


Mit dem letztjährigen Bandsplit machten die Black Metal-Urgesteine von Immortal ihrem Namen alles andere als Ehre und wenn man sich den musikalischen Werdegang der "Unsterblichen" einmal verinnerlicht, könnte man sogar Berechtigung für erwähnte Trennung finden. Doch halten wir das Wort Ehre fest und stellen es mit dieser einst so einflussreichen Band in Zusammenhang, fragen uns somit, warum die Norweger zu einem solch enormen Maß an Ruhm kamen. Noch heute ist sich die Schwarzkittelszene über Folgendes noch nicht im Klaren: Welches Album war wirklich das Absolute, Ultimative, Perfekte? "Battles In The North" oder "Pure Holocaust"? Nun, auch wenn Immortal jene Band war, die meine geschmackliche Entwicklung entscheidend beeinflusste und für mich in ihren Glanzzeiten immer aufopfernd als wahrhaftige Götter gefeiert wurden, weiß selbst ich nicht, welcher dieser beiden Meilensteine wirklich das bessere bzw. prägendste für die BM-Szene war. Und vielleicht sollte man diese Thematik für immer im Raum stehen lassen und einfach hinnehmen, dass sie es schafften, zwei absolut unvergleichliche und doch so unterschiedliche Langrillen nacheinander zu veröffentlichen. Was jedoch "Pure Holocaust" trotz stilistischer Gleichheit mit seinem "internen Konkurrenten" besonders abhebt, sei hier herauszufinden.
Und nach hundertfachen Dauerrotierungen beider Alben bin ich zu dem Schluss gekommen, dass es ergreifend einfach der Sound ist. Jener umgarnt nämlich das, was dieses Sternbild am BM-Firmament zu dem macht, als was es dieser Tage gilt: ein vertonter galaktischer Eissturm. Diese bittere Kälte wurde anno 1993 so optimal auf Tonträger gebannt, wie es niemand irgendwann danach auf diese Weise vermochte. Sägende, thronend-aggressive Gitarren sind beißende Windböen, die einem ins Gesicht peitschen und in Form von komplizierten Soli zwischenzeitlich die Haut zerreißen. Sich beinahe überschlagende Doublebasses und im Allgemeinen orchestral anmutende Percussions stehen für Eissplitter, die sich durch die Schädeldecke mitten ins Gehirn bohren. Und Abbath's klangloses Knurren und Krächzen steht sinnbildlich für die unwirtlich verschneite Landschaft vor der seelischen Kreativität. Diese tönend-emotionalen Charakteristika lassen ihre Kraft mit der entscheidenden Hilfe von dramatischen Songaufbauten und beinahe ungewöhnlich strukturierten Melodien erst richtig zur Geltung kommen, während Simplizität und Komplexität miteinander streiten, sich bekämpfen und dennoch nebeneinander triumphieren. Dabei betrachtet das geistige Auge nicht etwa entzivilisierte Einöden oder verlassene Schneegebirge. Die Band in Mann und Person steht vor einem, Grimassen schneidend, benietet und bemalt, posierend und machtvoll in einem nur norwegischen Wald im tiefsten Winter, ergo ein absolut unberührtes Gefühl von ursprünglichem Black Metal wird vermittelt, als würde man die wahre Schönheit eines Rohdiamanten erkennen. Demzufolge ist "Pure Holocaust" auch eines der wenigen Alben, die eine Art "unantastbare Quintessenz" in Bezug auf Aura und Feeling verbreiten kann. 
Doch wir fingen mit dem Sound als Hauptmerkmal an - und dem möchte ich noch besondere Aufmerksamkeit schenken. Was Pytten dort gezaubert hat, bewies ein weiteres Mal das ungebrochene Feingefühl und die Nase zum individuellen Produzieren eines Musikwerkes seinerseits. Jener eisige, klirrend kalte, schneidende Klang ist ein Unikat, mag kommen, was wolle. Man schaffte es, nicht auch nur einen winzigen Hauch von Wärme oder Sentimentalität in das Gesamtbild einfließen zu lassen und das macht den Produzenten mit seiner unweigerlich wichtigen, einflussreichen Arbeit schon fast zu einem Mitglied der Band in dieser Zeit. 
Eingebettet in ein kultig markantes Cover, dessen Ausstrahlung bis dato einzigartig ist, belegt Immortal's Zweitwerk den Platz "unumgänglicher Pflichtstoff", egal ob alter Hase oder Jungspund im Black Metal-Kosmos. Wobei ich bezweifle, dass dieser pure Geist, welchen "Pure Holocaust" mit sich führt, von denen, die es nicht in dieser glorreichen Epoche bereits genossen haben, wirklich gefühlt werden kann. Kompromisslosigkeit, Aggressivität, Härte, und Einzigartigkeit verschmolzen auf dieser Scheibe zu einem düsteren Eisblock geprägt von stolzem Kultdasein in der (Black) Metal-Historie, wie sie nur Anfang der 90er aus Norwegen kommen konnte. Doch lassen wir "die guten alten Zeiten" ruhen und erheben "Pure Holocaust" letztendlich in eine Höhe, die es verdient hat: unnerreichbar.

10/10

Official Website

 

sic
02.04.2004


Redaktionsbewertung:
azaghal 8 Amicus 10
Laeknishendr 8,5 odium 8
Erik 10 Wolfsgrimm 7
sic 10 Mondtus 10
Argathon 10 Herr B. 8
Johannes 8
Gesamtdurchschnitt: 8,7